Gute Texte und Gedichte

Hier möchte ich gute Texte und Gedichte zu den Themen Meditation und Spiritualität zur Verfügung stellen. Ich freue mich über Texte, die mir zugeschickt werden, am besten per E-Mail.

 

Wenn's anders kommt

Sind Sie auf Ihrer spirituellen Suche auch schon enttäuscht worden? Ja? Dann herzliche Gratulation!

Das Entdecken geschieht zufällig. Darauf folgt das begeisterte Eintauchen in ein ekstatisches Lebensgefühl mit seinen aufregenden Rhythmen. Vielleicht war es bei Ihnen eher wie ein Heimkommen an den Ort, wo Sie immer schon waren. Ob ekstatisch oder still, weit in den Raum ausgedehnt oder auf einen Punkt zentriert: In der spirituellen Erfahrungswelt gehen Türen auf.

Mit Verve und Anfängergeist macht sich das Herz auf den Weg - närrisch vor Glück über befreiendes Erleben und Erkennen. Die Augen gehen auf, Blumen am Wegesrand leuchten, in der endlosen Karawane finden sich neue Gesichter ein. Wir entdecken nie gekannte Seiten in uns, die aufatmen, wenn sie endlich genährt werden. Alles zum ersten Mal sehen und erahnen- und noch nicht weiter wissen ... Wie frisch verliebt sein ins Leben, neue Worte finden oder ein Gesicht, das unser Innerstes spiegelt. Verschmelzen mit der nackten Erfahrung. 

So könnte es doch immer sein. Doch was geschieht, wenn es ganz anders kommt? Der "spirituelle Honeymoon" dauert seine Zeit - bis die Arbeit beginnt. Arbeit? Was hat die hier zu suchen? 

Ich meine damit Integration. Was geschieht, wenn die alten Muster, mit dem starken Bruder "Alltag" im Rücken, uns zu Hause spöttisch empfangen? Wo war sie da gleich wieder, die Balance, dieses Eintrittstor zum Weg der Mitte? "Sesam, öffne dich!", ist verklungen. Die Flasche liegt im Staub, verlassen von ihrem Geist. 

"Halt!", ruft ein Stimmchen, "das bedeutet nicht, dass du dir alles eingebildet hast! Du bist völlig unerwartet auf der anderen Seite des Zauns gelandet - im Land der Magie. Du hast deine Einweihung in die "Traumzeit", in eines der "Fahrzeuge" oder die "Kommunion" bekommen - oder wie auch immer das Namenlose in den verschiedenen Traditionen bezeichnet wird. Jetzt hast du davon gekostet und es wieder erkannt." Wie lassen sich die Erfahrungen jener "anderen Welt" mit dem bisherigen Lebensentwurf verbinden? 

Zahllose Rituale, Weltanschauungen, Metaphern und Melodien werden auf dem spirituellen Markt feilgeboten, um uns diesen Weg zu ebnen. Mit verzweifelter Disziplin halten wir uns an Techniken fest oder drehen uns - je nach Temperament - lieber noch einmal im Bett um. Vielleicht streiten wir uns nun mit Verve über die "rechte" Sichtweise oder werden zu Sammlern von Heilslehren. 

Doch was, wenn alle Türen bloss an die frische Luft führen? 

Würde uns der Weg von selbst finden, wenn wir uns endlich hingeben an das Jetzt? Indem wir immer wieder mit frischem Blick hinschauen? Zugegeben, das ist so schwer wie das ominöse "Loslassen". 

Vielleicht ist damit ein Aufgeben der Ablenkung und stattdessen ein Öffnen, ein Ja zum unvermeidlichen Schmerz des Daseins gemeint. Damit wären wir beim authentischen Mitgefühl angelangt. Die Entscheidung dazu steht immer wieder an. Sie gibt den Auftakt zum Tanz zwischen Verzückung und Alltagsmühe. So kann Verinnerlichung allmählich geschehen.

Michelle Graf, Zeitschrift "Spuren" Nr.104, Juni 2012

 

So ruhig geh ich meinen Pfad,
so still ist mir zumut,
es dünkt mich, jeder Weg sei grad
und jedes Wetter gut.
Wohin mein Weg mich führen mag,
der Himmel ist mein Dach,
die Sonne kommt mit jedem Tag,
die Sterne halten wach.
Und komm ich spät und komm ich früh
ans Ziel, das mir gestellt:
Verlieren kann ich mich doch nie,
o Gott, aus Deiner Welt.

Joseph von Eichendorff  [1788-1857]

 

Einheit von allem

Einheit von allem. Was ist das? Die wirkliche Schwierigkeit besteht darin, dass der Verstand sofort eine Interpretation liefert. Alles, was auf dem spirituellen Weg gehört wurde, gelesen wurde, vielleicht sogar als leise Ahnung erfahren wurde, interpretiert sich über den Intellekt, versucht sich einzusortieren, um die gewohnte Sicherheit aufrecht zu erhalten. Sicherheit, die in der personellen Struktur begründet ist. Genau jener Struktur, die die Dualität, die Gegenüberstellung von Ich und Du, als existenziell notwendig erfahren hat und erfährt.

Um den Alltag organisieren zu können und auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen kommunizieren zu können, braucht es ein starkes Ich. Allein der Besuch eines Kurses erfordert Struktur und vielerlei rationale Entscheidungen - beginnend mit der Organisation des Hauses, Terminplänen, Kursprogramm, Kursleitung etc. Erst dann ist eine Anmeldung und der Besuch überhaupt  möglich. Weshalb also sollte das Ich entwertet werden?

Wird es auch nicht. Die so selbstverständliche Über-Bewertung lässt es so empfinden. Sie scheint so stark in uns konditioniert, dass jede Aufforderung des Spürens, Lauschens, Innehaltens, jede Frage nach der Wirklichkeit "hinter" dem Ich, als Ent-Wertung empfunden wird und in Widerstand mündet. Das "starke Ich", kostbar und sehr sinnvoll, offenbart seine Schwäche: die bedingungslose Aufrechterhaltung der Machtstruktur, die sinnentleerte Über-Bewertung.

Ein vis-à-vis ein Gesicht-zu-Gesicht (zugegeben, eine etwas gewagte direkte Übersetzung des so geläufigen Wortes) erfährt sich zunächst nicht als Einheit, sondern als Ich und Du in Beziehung, Auseinandersetzung und Kommunikation. Dass wir einander Spiegel sind, ist eine meist langsam reifende Erkenntnis. Dass wir einander nicht nur Spiegel sind, sondern wir selbst es sind, die sich im anderen begegnen, weiter noch, wir selbst die/ der/das Andere sind, ist mit dem Intellekt nicht mehr erfassbar, entzieht sich unserer Erkenntnismöglichkeit. Einheit von allem ist keine Erkenntnis, auch wenn es sich unsere personale Struktur noch so sehr wünscht, herbeisehnt und daran arbeitet und übt. Es ist eine Erfahrung des Seins im Augenblick. Einheit von allem ist, was wir zutiefst sind.

Während ich hier am PC sitze und schreibe, ist in einem anderen Zimmer klassische Musik zu hören, Rameau - dirigiert von Teodor Currentzis. Die Musik ist leise im Hintergrund und doch webt sie sich ein. Der Intellekt sucht nach Worten um die Erfahrung der Einheit in diesem Text Ausdruck finden zu lassen, sie zu transportieren. Zugleich ist diese wunderbare Musik spürbar anwesend. 

Zunächst ist es ein Hören.... dann ein Spüren.... in allen Zellen.... Klang sein....
So findet sich ein wunderbares Beispiel. Das Hören ist noch in einer Distanz zum Klang, das Spüren löst die Distanz langsam auf, das Klangsein erfährt den Augenblick, die Einheit. Musik, vor Jahrhunderten komponiert - in unserer Zeit neu dirigiert... eine Brücke über die Zeit... Zeit und Ewigkeit zugleich.

Einheit von allem ist Wirklichkeit.

Petra Wagner, Willigis Jäger Stiftung/Benediktushof, November 2018

 

Drum, wer Ohren hat zu hören, der höre!
Es ist nicht zwei, nicht drei, nicht tausende,
es ist Eins und Alles,
es ist nicht Körper und Geist geschieden,
das eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre,
es ist Eins, gehört sich selbst,
und ist Zeit und Ewigkeit zugleich,
und sichtbar und unsichtbar, bleibend im Wandel,
ein unendliches Leben.

Karoline von Günderrode   [1780-1806]

 

Um was geht es beim Zen oder in der Kontemplation?

Um was geht es eigentlich bei unserer Übung? Beim Zazen oder in der Kontemplation? Zugegeben: es geht um "Erfahrung". Um die Erfahrung schlechthin! Und um welche Erfahrung geht es? Es geht einzig und alleine darum, die Erfahrung zu machen, die wir machen, wenn wir üben.

Und was üben wir? Wir üben, indem wir das Sitzen in Stille praktizieren. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir die Erfahrung des Sitzens in der Stille machen können, während wir das Sitzen in der Stille praktizieren. Mit anderen Worten: wir sollten nicht Zazen oder Kontemplation so praktizieren, als wäre dies ein Mittel, um eine Erfahrung zu machen, die dann quasi ausserhalb unserer Übung selbst läge. Nein, genau so nicht!

Wir praktizieren nicht das Sitzen in Stille als Übungsweg, um etwas anderes zu erreichen, sondern wir "sind" das Sitzen in Stille. In der Praxis fallen Handlung und Sein zusammen. Zazen oder Kontemplation üben nicht. Sie sind.

Warum ist diese Übung so problematisch, wenn sie, wie eben beschrieben, so einfach sein könnte, ja es letztlich auch ist? Die Hauptschwierigkeit liegt wohl darin, dass wir mit dem, was ist, selten zufrieden sind. Und wie es das Wort "zufrieden" bereits selbst zum Ausdruck bringt: Wir sind mit dem, was ist, nicht zufrieden, weil wir in dem, was ist, nicht zum Frieden kommen. Das bedeutet letztendlich: Die Quelle unserer anhaltenden Unruhe ist die Ablehnung von dem, was ist - und nichts anderes.

Unser Geist erlangt dann seine natürliche Ruhe, wenn er aufhört sich gegen die in ihm auftauchende Erfahrung zu wehren. Das bedeutet wiederum, dass ich während einer längeren Sitzperiode ganz das Sitzen bin, ja ganz die Langeweile, der Atem, das Mu, der Laut oder das Wort, ganz je nach persönlicher Übung. Wenn ich endlich aufhöre zu wählen, zu erwarten und zu hoffen, dass sich eine andere Erfahrung einstellt als die, welche gerade da ist, dann bin ich im gleichen Augenblick ganz da und das heisst ganz eins mit dem, was da ist. Ich bin zufrieden.

Das ist das geheime Tor zu jeder weiteren Erfahrung. ...

Alexander Poraj, Newsletter der west-östlichen Weisheit Willigis Jäger Stiftung, Juli 2011

 

Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst'.

Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis' die Wälder,
so sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff  [1788-1857]

 

Nichtwissen - Der Geist des Anfangs

Sobald wir über etwas Bescheid zu wissen glauben, machen wir dadurch einen anderen Verlauf der Dinge unmöglich. Sobald wir nicht mehr aus dem Nichtwissen heraus leben, fixieren wir unsere Situation so, dass wir das unablässige In-Erscheinung-Treten der Dinge und Ereignisse nicht mehr zu erleben vermögen. Die Dinge geschehen aber und nichts bleibt so, wie es ist. Indem wir jedoch Vorstellungen darüber hegen, was unserer Meinung nach geschehen sollte, hindern wir uns daran zu sehen, was tatsächlich geschieht. Uns entrüstet, wenn unsere Erwartungen sich nicht erfüllen. Gelingt es uns hingegen, sie loszulassen, befinden wir uns im Einklang mit dem, was in Erscheinung tritt.

Berni Glasman Roshi, Beitrag auf 'Sieben Wochen', 2. Mai 2016

 

Mein sind die Jahre nicht,
die mir die Zeit genommen,
mein sind die Jahre nicht,
die etwa mögen kommen.
Der Augenblick ist mein,
und nehm' ich den in acht,
so ist der mein,
der Jahr und Ewigkeit gemacht.

Andreas Gryphius  [1616-1664]

 

Was Meditation nicht ist

Sie ist kein Zweig der Wellness-Industrie. Ist nicht schönes Dösen, unterstützt von easy-listening-music und Räucherwerk.

Was Meditation ist

Sie ist am Anfang eine Praxis und wird später zu einer inneren Haltung. Mit der Folge durchaus von Wohlgefühl. Doch stammt dieses dann aus der Klarheit einer ganz entspannten Gewahrsamkeit, während Wellness einfach trancehafter Selbstgenuss ist. Der darf natürlich auch sein, manchmal ist es gut, einfach mal abzuhängen, doch Trance ist nicht Meditation.

Stell dir vor, du setzest dich still hin und beginnst auf eine gelöste Weise zu beobachten, was in deinem Verstand vor sich geht. Wenn du das schon einmal gemacht hast, wirst du erfahren haben, wie schnell dich deine Gedanken sozusagen übernehmen und in einen Film befördern wollen. Im Handumdrehen bist du zu einem Hauptdarsteller dieses Films geworden, schläfst mit offenen Augen. Bis du plötzlich merkst, dass es ja gar nicht Realität ist, was dich da eingefangen hatte, sondern bloß ein längeres Gedankenspiel. Eine Folge von Vorstellungen und Ideen und Gefühlen, mit denen du dich identifiziert hattest.

Stelle dir jetzt vor, du beobachtest, wie ein Gedanke auftaucht, nur lässt du ihn einfach Gedanke sein und bist Zeuge, wie er wieder verschwindet. Und ein weiterer Gedanke auftaucht, wieder verschwindet, ein dritter kommt und wieder geht. Du greifst nach nichts und brauchst darum auch nichts loszulassen.

Mit der Zeit wirst du in der Lücke zwischen dem was geht und dem was kommt klare, unverfälschte, frische und unmittelbare Welterfahrung kennen lernen. Eine von keinen Konzepten getrübte Präsenz. Eine Stille, in der alles enthalten ist und nichts ergriffen wird. Nicht einmal die Stille hast du ergriffen...

Versuchst du indessen, die Lücke zwischen den Gedanken herbei zu führen, die Stille zu greifen, hat dich der innere Monolog schon wieder eingefangen, du hast aufgehört, entspannt zu sein und willst etwas Bestimmtes. Bemüht man sich und übt, an nichts zu denken, ist man einem Missverständnis aufgesessen und betreibt angespannte Selbsthypnose.

Bei der Meditation geht es weder um Leistung, noch um Gewinn. Obwohl sich - oh fröhlicher Widerspruch - mit der Zeit ein Gewinn durchaus einstellt. Der Gewinn für den Alltag besteht unter anderem darin, dass du dich bei zunehmender Praxis immer weniger mit deinen persönlichen Problemen identifizierst. Die Abhängigkeit von Umgebungsreizen wird geringer und umso stärker die Fähigkeit, die Gedanken kraftvoll auszurichten und auch eine Weile ausgerichtet zu halten. Das kommt allen Lebensbereichen als gewachsene Fähigkeit zugute, zu denken und zu handeln, was man wirklich denken und handeln will. Du wirst gelassener und offener für das Leben in seiner Gesamtheit.

Dynamische und stille Meditation

Je angespannter man ist, desto mühseliger die Praxis von Meditation. Nun ist es eine Tatsache, dass die Menschen unserer Zeit meist in einem Wechsel von Anspannung und Ablenkung leben, wobei der innere Monolog ständig rattert. Dynamische Meditationen, Meditationen in Bewegung arbeiten aus diesem Grund erst einmal über den Körper, lösen die Spannungen. Sie schaffen überhaupt erst die Voraussetzung, dass wir still werden können.

Spirituelle Therapie

Meditation allein ist schon ein Segen. Verbindet man sie mit Arbeit an der Persönlichkeit, also auch mit Körper- und Atemerfahrung sowie der Versöhnung mit den Schatten, mit der Herkunft, mit dem Leben überhaupt, haben wir es mit ganzheitlicher Arbeit, mit spiritueller Therapie zu tun.

Sie ist selbstverständlich mit Reibung verbunden und kein Konsumartikel. In der strähnigen Präsenz eines Gurus zu sitzen und sich heilig und auserwählt zu fühlen, darum geht es nicht. Es geht vielmehr um Natürlichkeit.

Schwer oder leicht - eine Sache der Einstellung!

Burkhardt Kiegeland, September 2008

 

Sag nicht, dass ich morgen scheide,
denn ich bin noch gar nicht ganz da.
Ich komme gerade erst an mit Lachen und Weinen, mit Furcht und mit Hoffnung.

Bitte rufe mich bei meinem wahren Namen,
damit ich all meine Schreie und mein Lachen
zur selben Zeit hören kann,
damit ich sehen kann, dass meine Freude und mein Schmerz eins sind.

Bitte rufe mich bei meinem wahren Namen,
damit ich aufwachen kann,
und das Tor meines Herzens offen bleiben kann.
Das Tor des Mitgefühls.

Thich Nhat Hanh  [1926-2022]

 

Ankommen im Jetzt

"Ich bin noch nicht da!" höre ich so oft am ersten Kurstag von Teilnehmern. Oder: "Ich komme gerade erst an!" - eine Aussage meist am Ende des Kurses, wenn es wieder zurückgeht in den Alltag, nach Hause, wo ich mich manchmal nicht wirklich zuhause fühle und auch mir fremd bin.

Es ist ein tiefsitzendes Empfinden, dass das, was ist, noch nicht das Wirkliche oder Richtige zu sein scheint. Ein Gefühl "noch nicht genug zu haben" und etwas bekommen oder erreichen zu müssen, wo ich "mehr ich selbst sein kann". Das Ich, das sich als von allem getrennt wahrnimmt, und der gegenwärtige Moment werden als armselig, dürftig und ungenügend definiert. Die Gegenwart existiert als Defizit. Das wirkliche Leben sprudelt immer wo anders. Es herrscht ein permanenter Zustand von Unzufriedenheit.

Das Leid, welches ein Mensch in einer solchen Situation empfindet, liegt aber nicht an dem Lebensumstand selbst, sondern daran, dass er den gegenwärtigen Moment, so wie er ist, nicht annehmen will, deshalb vor ihm wegläuft oder ihm inneren Widerstand entgegen setzt.

Dieser Widerstand gegen das "Sosein" des gegenwärtigen Augenblicks bedeutet im Grunde nichts anderes, als sich vor sich selber zu verstecken! Das ist die Gretchenfrage:
Wie viel Verbindung zu dir selbst hast du in deinem bisherigen Leben? Frage dich selbst, wie oft du schon versucht hast, aufrichtig und bedingungslos mit dir, mit deinem Herzen, in Verbindung zu treten.
Wie oft schon hast du dich abgewendet, aus Furcht, etwas Schreckliches über dich selbst zu entdecken? Wie oft warst du bereit, dich selbst im Spiegel anzuschauen, ohne dass es dir peinlich wurde?
Wie oft hast du dich selbst abgeschirmt - hinter einer Zeitung, beim Chatten, durch Fernsehen oder einfach durch Rückzug?  

Das Erwachen ist nur möglich, wenn du bereit bist, dich dir selbst zu stellen. Das mag dir als hohe Anforderung erscheinen, vielleicht als sinnlos oder gar unmöglich, doch sie ist unabdingbar.

Wenn du bei der Meditation aufrecht und trotzdem entspannt sitzt, dann bist du nackt. Dein ganzes Sein, dein Herz ist bloßgelegt, vor allem vor dir selbst und vor anderen. Beim stillen Sitzen, indem du dem Atem folgst, wie er einströmt und wieder ausströmt und sich verflüchtigt, stellst du die Verbindung zu deinem Innersten, deinem Herzen her und lässt dich einfach sein. Wie schwierig und fast unmöglich! Aber dann kann es geschehen, dass etwas in deinem Inneren "umkippt" und eine tiefe Stille und unendlicher Frieden dich erfüllt. Staunend stellst du fest, dass das erwachte Herz  "leer" ist - offen und weit, wo Freude und Schmerz eins, Lachen und Weinen zur selben Zeit wahrnehmbar sind. Dieses erwachte Herz ist reines Mitgefühl, bedingungslose Bejahung. Weich und wund fühlt es sich an.

Wenn du deine Augen für die Welt öffnest, überkommt dich - so paradox es klingt - eine stille Freude und gleichzeitig abgrundtiefe Traurigkeit. Es hat nichts mit äußeren Gründen zu tun: Du bist nicht traurig, weil jemand dich verletzt hat, oder weil du einen Verlust zu beklagen hast. Diese Traurigkeit ist grundlos. Sie rührt daher, dass dein Herz ganz bloßgelegt ist - ungeschützt.

Gleichzeitig entsteht ein tiefes Einverständnis für die "Soheit" der Dinge! Es ist die Geburt von Gleichmut und Furchtlosigkeit. Es meint nicht  Furchtlosigkeit in dem Sinne, dass man keine Angst hat oder dass man zurückschlägt, wenn man geschlagen wird. Es ist die Bereitschaft, dein verwundbares, wunderbares Herz berühren zu lassen. Die Bereitschaft, ohne Abwehr und ohne (Ab-)Scheu dich dir und der Welt zu öffnen, und die Bereitschaft, dein Herz mit anderen zu teilen. Es ist das Leben selbst!

Das bedeutet  "Ankommen im Jetzt"! 

Fernand Braun, spirituelle Leitung Benediktushof, Oktober 2018

 

Sich freuen heisst,
Ausschau halten
nach Gelegenheiten zur Dankbarkeit.

Karl Barth  [1886-1968]

 

Seit Menschen meditieren, fasziniert sie die Erfahrung, dass die innere Stille keine Sackgasse ist, sondern ein Begegnungsort: Wer sich der Stille der Meditation aussetzt, begegnet sich selbst, und wer sich in der Stille aushält, kann Gott begegnen.

Dieses Geschehen spielt sich vielfältig ab:
Die eine Person sucht mit aller Anstrengung nach Gott und muss merken, dass sie dabei das Suchen nach der eigenen Person nicht ausser Acht lassen kann...
Eine andere Person flieht alles und sehnt sich nach Stille: Doch sie kann sich selber nicht hinter sich zurücklassen...
Wiederum eine andere Person möchte zur Ruhe kommen und bei sich verweilen, doch es eröffnen sich, ungewollt, Dimensionen der eigenen Person, die die Ruhe in einer Sehnsucht nach Gott auflösen...

In der christlichen Tradition ist diese Art der Meditationspraxis als Kontemplation bezeichnet worden. Angestrebt wird dabei ein innerer Schweigeraum, der sich - geschenkhaft - zu einem Raum der persönlichen Gegenwart verdichtet und sich - wiederum geschenkhaft - zu einem Raum der göttlichen Gegenwart öffnet.

Peter Wild, Kursprogramm Propstei St. Gerold, 2007

 

Das wahre Wunder besteht nicht darin,
auf dem Wasser zu wandeln,
sondern auf der Erde zu gehen.

Thich Nhat Hanh  [1926-2022]

 

Spiritualität ist keine Wellness

Man muss sich geradezu fragen, ob in unserer Kultur, wie sie beschaffen ist, wirkliche Spiritualität überhaupt möglich ist. Alles wird so verkehrt, dass wir immer selbst am Steuer sitzen: Gott, die Bibel, die Sakramente, die Kirche, die Menschen und das Gebet. Alles dient nur dem einen Zweck, mein eigenes Ich zu bestätigen und sein Bedürfnis, sich gut zu fühlen, zu befriedigen.

Wenn man im Christentum die Leere sucht, dann deshalb, um erfüllt zu werden, also um bereit und offen zu sein. Unser Ziel besteht darin, von unserem privaten Ego, unserem abgehobenen Ich loszukommen. ... Wenn Gott dann in irgendwelcher Weise auf mich zukommen will, stehe ich ihm nicht im Weg. 

Wenn wir leer zu werden versuchen, dann deshalb, um die Fülle zu finden. Aber von dieser Fülle wissen wir nicht einmal, dass wir auf sie warten; wir wissen nicht, wie wir sie beschreiben sollen oder wann wir sagen könnten, dass sie uns zuteil geworden ist. Und wenn sie uns geschenkt wird, können wir sie nicht festhalten, denn sonst wird sie zum Götzen.

Richard Rohr, Vom Glanz des Unscheinbaren, Franziskanische Spiritualität, 2007

 

Dass ein Mensch ein ruhiges Leben in Gott hat,
das ist gut,
Dass ein Mensch ein mühevolles Leben mit Geduld erträgt,
das ist besser.
Dass man aber Ruhe hat im mühevollen Leben,
das ist das Beste.

Meister Eckehart  [ca. 1260-1328]

 

Kontemplation ist ein Einüben in die Gegenwärtigkeit des Lebens, eine Begegnung mit dem Leben auf eine wache Weise, eine Verstärkung des Vertrauens in die eigene Gegenwärtigkeit. Die Präsenz durch den Körper öffnet den Zugang zur transpersonalen Dimension in eine Wirklichkeit, die uns in die Einheit mit uns selbst und mit der Welt führt. Es ist ein spiritueller Weg, der uns auch von der christlich-mystischen Tradition bezeugt wird. Die Erfahrung erschliesst sich jedoch nur dem Menschen, der sich tatsächlich auf den Weg macht. Dieser Weg führt nicht in eine andere, bessere Welt, sondern direkt in den Alltag. Ziel ist nicht eine andere Welt, sondern anders da zu sein in der Welt.

Äusserlich eine sehr einfache Übung: Sitzen, Körpergebet, Tanzen, Tönen, Gehen und Schweigen. Innerlich ist die Übung nicht leicht. Das Viele, die innere Lautstärke, kann jedoch mit der Zeit zur Ruhe kommen in diesem einen Atemzug, in diesem Klang, in dieser Körperhaltung, in diesem Schritt. Im einfachen Dasein lässt sich die Alltagsaktivität gelassen wahrnehmen, um darin etwas wahrzunehmen, das jenseits von Vorstellung, Plänen, Sorgen und Konzepten liegt. Erfahrbar wird ein Eingebettetsein ins Eine und Ganze. Staunend können wir erkennen, dass sich das Leben nicht machen lässt, dass es uns vielmehr sucht und sich uns schenkt. Wenn wir das Leben so erfahren, können wir sagen: Diese Welt ist ein Geheimnis, ein Wunder, und sie ist schön.

Kurse und Weiterbildung (Angela Römer), Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Herbst 2002

 

Man muss den Dingen
die eigene stille, ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt werden kann;
alles ist austragen -
und dann gebären...

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...

Man muss Geduld haben
für das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Frage lebt,
lebt man allmählich,
ohne es zu merken,
eines fernen Tages
in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke  [1875-1926]